3. Buch: Die soziale Ebene -> 13. Kapitel: Gibt es eine Lösung für die Schizophrenie? -> 94. Folge: die Ärzte und die Psychose
Deutungsebene ausblendendie Ärzte und die Psychose

Barbara hatte eben eine heimtückische Krankheit, die ihr wahres Gesicht nur gelegentlich zeigte. Die Krankheit hauste im Verborgenen in ihr, wie Bakterien oder Viren, die sich in einer Ruhephase auf den nächsten Angriff vorbereiteten. Die Ärzte betonten, dass die Krankheit von Barbara nicht von Krankheitserregern dieser Art verursacht sei, doch entsprach es ihrem Denkschema.
Für Barbara war das anders. Wenn das, was die Ärzte die ”Krankheit” nannten, sichtbar wurde, wenn Barbara psychotisch wurde, dann fühlte sie sich meistens nicht sehr gut. Aber manchmal fühlte sie sich dann überhaupt nicht krank. Dann fühlte sie sich im Gegenteil erst richtig gesund. Dann war sie aufsässig, floh ihre Familie, ohne Schuldgefühle zu haben, und nahm sich vieles, ohne zu fragen. Es waren die Menschen um sie herum, die entsetzt waren und sich vor der Krankheit erschreckten. Barbara sagte in diesen Phasen, dass diese Menschen selbst krank waren. Sie erzählte, dass die Mutter von ihrer Angst oft aufgefressen wurde, und dass sie neidisch auf die Tochter war, ihr nichts an Erfolg gönnte, dass der Vater überhaupt nicht wusste, was Liebe ist, und dass er der Mutter hörig war. Sie sagte es allen, unverblümt und offen. Aber natürlich dachte jeder, dass die Krankheit den Geist von Barbara völlig verwirrt hatte.
Doch nützte ihr dieses Wissen auch nicht. In den psychotischen Phasen bekam sie irgendwann Mitleid mit ihrer Familie, die von ihrer Verfassung immer sehr erschreckt war, und fügte sich dem, was die Familie Behandlung nannte. Nachher in den Phasen der Ruhe verleugnete sie ihr Wissen um die Wahrheit und nannte die Psychose auch Krankheit.
Zu einem Problem wurde es allerdings, wenn sie zu den Ärzten ging. Die Ärzte taten unterschiedslos so, als sei die Barbara, die mit ihnen in der ruhigen Phase sprach, die ganze Barbara. Das, was in ihrer psychotischen Zeit auftauchte, wurde wie ein Feind, der sich glücklicherweise zur Zeit zurückgezogen hatte, behandelt. Zurückgezogen hatte er sich allerdings in Barbara.
Der Hausarzt, Dr. Abel ließ sich einen Bericht
der Klinik kommen und verordnete die Medikamente, die von
den Fachärzten für Psychiatrie vorgeschlagen
wurden. Nach irgendwelchen Lebensereignissen oder
psychischen Beschwerden fragte er nicht, obwohl er immer ein
offenes Ohr für ihre Lebenssituation oder
Lebensprobleme hatte, so weit Barbara in der Lage war,
darüber zu sprechen. Aber das hatte in seinem
Verständnis mit ihrer Krankheit nichts zu tun. Er
sprach mit Barbara über ihre Krankheit, als hätte
sie z. B. ein Nierenleiden.
Die Psychiater
hatten diese einfache Lösung nicht. Sie kannten ja den
Feind. Anfangs ging Barbara zu einem, der eine vornehm
eingerichtete Praxis hatte, und bei dem sie sich eigentlich
deplaciert vorkam. Bei ihm brauchte Barbara nie lange zu
warten. Die Fragen, die der Psychiater für sie hatte,
waren wenige und fast immer die gleichen:
Wie geht es
Ihnen?
Können Sie gut schlafen?
Haben Sie
Angst?
Wenn Barbara schon mal anmerkte, dass sie sehr
apathisch sei, schlug er vor, das Medikament zu wechseln.
Aber das wollte Barbara nicht. Sie hätte gern
erzählt, dass sie trotz der Medikamente manchmal von
Ängsten gequält wurde, ohne fürchten zu
müssen, dass der Arzt versuchte, sich des
Problems dadurch zu entledigen, dass er noch mehr
Medikamente verschrieb, oder auch, dass sie die Psychose
manchmal wie eine Befreiung erlebte. In dieser Praxis bekam
sie das Gefühl, Träger gefährlicher Keime zu
sein, vor denen der Arzt sich und seine anderen Patienten
schützen wollte.
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