2. Buch: Die familiƤre Ebene -> 6. Kapitel: Wechselseitige Erwartungen -> 47. Folge: Sexualität
Deutungsebene ausblendenSexualität

Sie war 23 Jahre alt, und sie hatte schon mit einigen
Männern geschlafen. Sie fand es aufregend und angenehm,
aber es war oft auch beschämend und schmerzhaft und
darum weiß Gott nicht der Gipfel des Lebens. So kam
sie zu dem Schluss, dass die große Liebe im wirklichen
Leben einer Frau nicht vorkommt. Viel später, als reife
Frau, als sie schon lange nicht mehr mit ihrem Mann schlief,
hatte sie gelegentlich wilde, leidenschaftliche Phantasien
kompromissloser Erregung, die ihr klar machten, dass sie auf
etwas verzichtet hatte.
Trotzdem oder besser
aufgrund all dessen konnte Lothar Rein schließlich bei
ihr Erfolg haben mit seiner einfachen Logik.
Wenn ich
Glück habe, bin ich im nächsten Jahr
Abteilungsleiter. Ich würde gern noch weiter kommen und
ich werde es schaffen. Ich will eine Familie haben. Zwei
Kinder wären ideal. Für die will ich sorgen. Eine
Familie, mit der du dich auseinander setzen musst, habe ich
nicht. Zu meinen Eltern habe ich wenig Kontakt.
erklärte ihr Lothar. Und Ursula Ruge dachte:
Das
will ich auch, einen Mann, Kinder, ein Haus, ein gesichertes
Auskommen.
Die anderen Verehrer hatten von Liebe und
Schönheit gesprochen. Aber das reicht zum Leben
nicht.
Beide wollten materielle Sicherheit, ohne die sie sich eine Familie nicht denken konnten. Darin war die Bereitschaft enthalten, füreinander zu sorgen.
Lothar Rein meinte es aufrichtig, und so
konnte er sagen, dass er seine zukünftige Frau liebte.
Ursula Ruge war nicht die erste Frau in seinem
30-jährigen Leben. Er hatte als Gymnasiast ein
Mädchen gehabt, mit dem er ausging. Als
Burschenschaftler ist er, mitunter auch von den
Verbindungsbrüdern dazu animiert, ins Bordell gegangen.
Nicht oft, weil es für seinen schmalen Geldbeutel zu
teuer war, aber nach den ersten beklommenen Malen tat er es
ohne Reue. Es entlastete ihn von seinem sexuellen Druck und
es machte Spaß. Er verachtete die Frauen nicht
für das, was sie taten, eher fühlte er Dankbarkeit
für sie. Sie freuten sich an seiner Geilheit. Sie
akzeptierten sein Verlangen mit Wohlwollen, ohne irgendeine
andere Verbindlichkeit als die, dass er gut zahlte, und wenn
er seinen Spaß hatte, war es ihr Erfolg. Lothar Rein
wollte die Frauen in den Huren nicht demütigen. Er
wollte, dass sie ihm gut taten, wenn ihn die sexuelle
Erregung nicht mehr los ließ.
Es war eine kindliche Erwartungshaltung darin. In seiner Ehe führte sie zur Katastrophe. Lothar wollte eine mütterliche Frau, die ohne Scham seinen Körper mit all seinem Verlangen liebevoll pflegt und befriedigt. Und er verstand nicht, wieso aus der körperlichen Intimität mit seiner Frau Verpflichtungen anderer Art entstehen sollten.
Lothar hatte versprochen, für seine Frau und seine Kinder zu sorgen. Er tat es mit Hingabe und Fleiß. Nach seinem Verständnis war das die wirkliche Liebe.
Die Sichtweise seiner Frau, die ihm etwas von sich gab, wenn sie mit ihm schlief, die ihm nicht nur Befriedigung möglich machte, sondern sich selbst hingab, wie unausgesprochen in ihrem ängstlichen Herzen das auch blieb, verstand Lothar Rein nicht.
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