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Deutungsebene ausblendenWer ist schuld?

Mit den Jahren veränderten sich diese
Unterhaltungen. In die Berichte von Ursula Rein schlichen
sich Vorwürfe ein.
Die Lehrerin hat mir
erzählt, dass Barbara ständig auf die
Toilette gehen muss. Das tut sie doch hier nicht. Und nach
einer Pause:
Nun sag doch mal was dazu! Dich scheint
die Sache überhaupt nicht zu interessieren.
Die Sache wurde prekär, als Frau Rein schließlich ihren Mann für die sorgenvolle Entwicklung Barbaras verantwortlich machte. Erst unausgesprochen, dann offen, warf sie ihm seine Ignoranz, sein geringes Engagement, schließlich seinen ”pathologischen” Charakter vor. Das war Ursula Reins Kriegserklärung an ihren Mann, der sie ohne Zögern erwiderte.
Die Konstellation war von da an eine andere. Lothar Rein hatte nicht nur eine Frau, die sich feindselig gegen ihn verhielt, und eine Tochter, die zu missraten drohte, sondern er musste sich nun mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass er an allem schuld sei.
Und das war darum so bedeutsam und für die Familienkonstellation so verheerend, weil er unbewusst diese Zuschreibung annahm.
Und doch gab es ein tiefes Gefühl der Loyalität zwischen beiden.
Immer wieder versuchte Ursula Rein,
sich beim Kinderarzt wegen Barbara Rat zu holen. Der
bemerkte, wie es um Ursula Rein stand. Aber was sollte er
anders tun, als zu versuchen, ihr die Ängste zu
nehmen?
Alle Kinder haben Probleme im Laufe ihrer
Entwicklung. Sie spucken oder schreien, haben Angst oder
machen ins Bett, haben Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen.
Das sind normale Schwierigkeiten.
Mit der Zeit bekam er freilich mit, dass Barbara nichts ausließ. Es gab so gut wie keinen Abschnitt ihrer Kindheit, der nicht überschattet gewesen wäre von den Sorgen, die sich ihre Mutter wegen irgendeines Symptoms machte.
Die Mutter sprach mit Barbara über das, was ihr Sorgen machte. Aber sie machte ihr kaum Vorwürfe.
Sie sah nicht das Aggressive im Verhalten ihrer Tochter. Erst nachdem Barbara durch die Pubertät war, empfand die Mutter schon mal heftige Gefühle von Wut ihr gegenüber.
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