2. Buch: Die familiƤre Ebene -> 7. Kapitel: Familienbeziehungen -> 54. Folge: Ein Freund
Deutungsebene ausblendenEin Freund

Später kam Robert, der Anwalt und Freund der
Familie. Er wollte mit Herrn Rein etwas bei einem Glas Wein
besprechen. Robert war guter Laune, machte Frau Rein ein
gelungenes Kompliment, und die gab es mit einem Lächeln
an Lothar weiter.
Macht es Euch bequem, geht
schon in das Arbeitszimmer, ich bringe Euch was zu trinken.
Als sie den Wein brachte, meinte Robert: Setzen Sie
sich doch einen Augenblick. Ich muss Ihnen und Ihrem Mann
etwas erzählen.
Er lachte.
Ich hatte heute
eine kleine Sache. Eine Strafsache, die ich für einen
Bekannten übernommen hatte. Es war ein junger Mann in
schwarzer Kleidung, gothic nennen sie es. Haben Sie bestimmt
schon mal gesehen. Die Männer laufen in einem langen
schwarzen Rock rum. Der Junge sollte etwas geklaut haben,
hat er aber mit Sicherheit nicht und war auch leicht zu
beweisen. Jedenfalls saß er da, ziemlich kleinlaut und
war auch sehr freundlich. Alle waren in schwarz, der Richter
und die Angestellte und der Staatsanwalt und ich in unseren
Roben und der junge Mann in seiner Kluft. Das war wie eine
schwarze Messe. Der Richter gab sich umgänglich, weil
er die Sache auch schnell durchschaut hatte. Plötzlich
schreit die Justizangestellte, springt auf und rennt zur
Tür. Wie eine Eule sah sie aus mit der flatternden
Robe. Eine weiße Ratte läuft über den Boden.
Der Richter guckt die Ratte an und ruft:
Bitte
gehen Sie in den Zuschauerbereich!
Aber die Ratte
hörte natürlich nicht auf die Stimme des Rechts.
Nach einer Schrecksekunde mussten alle lachen. Kevin hat die
Ratte im Nu eingefangen und in seinen Kleidern versteckt.
Sein Maskottchen, sagt er. Die Justizangestellte steckte den
Kopf durch die Tür und wollte wissen, ob die Ratte weg
sei. Sie würde sonst nicht mehr rein kommen.
So eine kleine Ratte kann unser Rechtssystem schnell
lächerlich machen, meinte Ursula. Wenn aber das Recht
nicht so ehrwürdig daher käme, würde es
keiner beachten.
Ja, bestätigte Robert, aber
dieser Richter ist ein souveräner Mann. Er hat am
meisten über sich selbst gelacht, dass er in der ersten
Überraschung die Ratte zur Ordnung rufen wollte. Und
dem armen Jungen hat er es nicht übel genommen.
Eine Ratte in unserem Haus, nein, das würde ich nicht
aushalten, was meinst du Lothar?
Lothar schüttelte
sich.
Wie man sieht, gingen die beiden nicht immer so hasserfüllt miteinander um. Zum Beispiel, wenn sie in Gesellschaft von Fremden waren, dann war der Umgang der beiden miteinander freundlich. Das war nicht, weil sie vor anderen ihren Streit verbergen wollten, sondern weil sie in der Gegenwart anderer besser in der Lage waren, ihre emotionalen Reaktionen zurück zu halten.. Man kann darum auch nicht daran zweifeln, dass es noch Positives, Verbindendes zwischen beiden gab. Z. B. dass sie bis zum Tode von Lothar Rein beieinander geblieben sind, war ein Ausdruck ihrer Treue zueinander.
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