2. Buch: Die familiƤre Ebene -> 8. Kapitel: Karriere -> 57. Folge: Der Chef
Deutungsebene ausblendenDer Chef

Er las in seiner Unterschriftenmappe. Eine umständliche Wirtschaftlichkeitsberechnung für ein Zulieferungsproblem der pharmazeutischen Abteilung. Soll man die Verpackung für einen Teil der Tabletten weiter in der Firma machen lassen oder in Auftrag geben? Eine langweilige Materie, die für ihn Routine war. Schlechte Expertise dachte er. Unerfahrener Mitarbeiter.
Lass das! hatte sie eines Tages gesagt. Geh auf deine Seite, ich brauche Platz zum Schlafen. Die nächsten Nächte auch. Irgendwann gab er auf. Die Kinder waren schon geboren. Sie stand oft nachts auf, als Cornelia noch klein war. Sie hat einen schlaffen Bauch bekommen. Und obwohl sie kaum gestillt hatte, waren die Brüste groß und hingen. Er sah sie kaum noch nackt. Sie wollte es nicht.
Er sollte sich den Mitarbeiter kommen lassen. Er kannte
ihn noch kaum. Wenn die Verpackung in Auftrag gegeben wird,
was ist mit der Auslastung der eigenen Maschinen? Wie modern
sind die überhaupt? Abschreibungstermine fehlen.
Dilettantisch.
Frau Weiß, der Rewe soll mal zu
mir kommen.
Wenn ich jetzt nicht kann, schieben Sie es
irgendwo zwischen! Er könnte ihn warten lassen, eine
Stunde oder ihn anfauchen, leise, höflich und scharf
wie eine Rasierklinge. Rewe würde rot werden, dann
weiß, dann schwitzen. Das war immer so. Wenn er nicht
irgendwann Schluss machte, würde er schließlich
zittern. Ob er eine Frau hat, Familie? Er muss es lernen.
Wenn er es lernt, kann er hier noch Karriere machen. Er ist
nett. Er soll die Chance haben.
Bestellen Sie
ihn für 18 Uhr.
Ja, nach Dienstschluss.
Der Besuch von, wie heißt er noch? bringt nichts,
muss aber sein. Wie war noch mal der Name?
Claesen.
So ähnlich hieß doch der Chef damals,
Klasen oder so ähnlich. Kalkweiß ist er
geworden.
Ich muss nach Hause, hatte er gesagt, war
aber nur ein Stammeln, ging ohne ein weiteres Wort aus dem
Raum. Die Sekretärin war auch aschfahl. Wie Gesichter
so aussehen können? Was da mit der Haut passiert? Wenn
man tot ist, sieht es bestimmt auch so aus.
Sein Sohn,
tot gefunden. Heroin, hatte sie geflüstert.
Schrecklich, habe ich gesagt. War es ja auch. Für
mich ein Glücksfall. Der ist dann bald selbst zusammen
gebrochen. Die Frau war sogar in der Klinik, glaube ich.
Klar, wenn der Sohn sich einen Schuss gibt. So ist das
Leben. Hätte sonst mindestens zwei Jahre länger
warten müssen, um seine Position zu bekommen. Schade,
dass es so ist: sein Pech, mein Glück.
Sie hat ihn für Barbara verantwortlich gemacht. Barbara ist krank und er ist schuld, sein ”pathologischer” Charakter. Das war ihre Kriegserklärung. Gut, dann ist eben Krieg. Seine Frau sein Feind, die Tochter missraten. Und er sollte verrückt sein? Woher wollte sie das wissen? Er war doch erfolgreich im Beruf. Seine Eltern, zugegeben, waren komisch. Das hatte er auch immer gefunden.
______